Projekt

„Faszination Der Bühne“

Projektleiter Klaus-Dieter Reus über das außergewöhnliche Schulprojekt

In Berlin war jetzt die von Klaus-Dieter Reus und seinen Schülerinnen und Schülern entwickelte Ausstellung „Faszination der Bühne“ zu sehen. Die Initiative für ein Theatermuseum Berlin e. V. hatte die Ausstellung als erstes größeres Projekt des Vereins gezeigt. Der Weg von einem Klassenbeitrag zum 250jährigen Jubiläum des Markgräflichen Opernhauses von Bayreuth zu einer von der EU geförderten Wanderausstellung mit begleitendem Buch war weit und ungewöhnlich. Ein guter Grund, die Umstände näher zu beleuchten.

Die Ausstellung war in der Zwinglikirche in Berlin-Friedrichshain, jetzt ein Kulturzentrum, aufgebaut. Sie beinhaltet Stelltafeln, Fotos und historische oder nachgebaute Bühnenmaschinerien aus dem Barocktheater wie Donner-, Regen- und Windmaschinen, Wellen und Prospekte sowie als Zentrum und Höhepunkt ein 1:2 Modell einer Barockbühne. Der Zuschauer kann mit Hilfe nachgebauter historischer Bühnentechnik die Kulissen, die Soffitten und den Prospekt wechseln. Meereswellen drehen sich im Hintergrund, und ein Schiff gleitet durch die Wellen. Wolken verdunkeln die Szenerie, und auf einem Wolkenwagen schwebt eine Göttin auf die Bühne. Die Ausstellungstafeln sind in großen Teilen identisch mit den Texten in dem gleichnamigen Buch, das die wichtigsten noch erhaltenen Barocktheater Europas vorstellt. Ausgangspunkt der Recherchen war Bayreuth, genauer gesagt das Gymnasium Christian-Ernestinum.

Zur Geschichte des Projektes

Zur Ausstellungseröffnung gab es Gelegenheit für ein Gespräch mit dem Projektleiter, Studiendirektor Klaus-Dieter Reus.

BTR: Bühnentechnik und -maschinerie sind ja keine Schulfächer. Wie kamen Sie auf die Idee, sich mit der im Opernhaus nicht mehr vorhandenen Bühnenmaschinerie zu beschäftigen?

1962 hatte man im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth, dem wohl am besten erhaltenen barocken Opernhaus diesseits der Alpen, die letzten Reste der alten Bühnenmaschinerie ausgebaut, ohne dass man sie dokumentarisch für die Nachwelt festgehalten hätte. Man beugte sich dem Druck der Bayerischen Staatsoper, die ihre weitere Beteiligung an der „Fränkischen Festwoche“ davon abhängig machte, dass „das alte Gelump“ von der Bühne verschwinde. So wurde die historische Bühnenmaschinerie auf einer Deponie entsorgt. Einerseits wollte ich der Bevölkerung der Stadt Bayreuth vorführen, wie diese Technik einmal ausgesehen haben muss, andererseits wollte ich die Schüler über die Technik mit der Welt des Barock bekannt machen.

Wie entstand daraus dann das Projekt?

1993 begann das Projekt in einem Leistungskurs Geschichte und einem Grundkurs Theatergeschichte. Für diesen bayernweit einmaligen Grundkurs musste ich einen Lehrplan beim Kultusministerium einreichen. Dafür gingen die in diesem Kurs erzielten Leistungen auch in das Abiturzeugnis ein. In Gruppenarbeit und in Facharbeiten versuchten die Schüler zu rekonstruieren, wie die Bühnentechnik des Markgräflichen Opernhauses einmal ausgesehen haben muss. Es entstanden Ausstellungstafeln, die Einblicke in die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Markgrafenzeit gaben, die das Welt- und Menschenbild der Barockzeit untersuchten und die Theater in Europa vorstellten, die sich die barocke Bühnentechnik bewahrt hatten.

Exkursionen führten uns zu den wenigen Theatern in Europa, an denen die Bühnentechnik noch vorhanden ist und teilweise noch oder wieder bespielt wird. Es entstanden Nachbauten der historischen Bühnentechnik, meistens in Originalgröße und voll funktionsfähig. Schülerinnen schneiderten farbenfrohe Barockkostüme und viele Schüler fertigten im Rahmen des Kunstunterrichtes in der Unter- und Mittelstufe Bühnenmodelle zu barocken Themen an. Im Sportunterricht probten Schüler Barocktänze, die in den angefertigten Kostümen aufgeführt wurden. Diese Schülerarbeiten wurden 1995 in der Kreissparkasse Bayreuth, dem Hauptsponsor unserer Arbeit, gezeigt. Zum 250jährigen Jubiläum des Markgräflichen Opernhauses wurde diese Ausstellung 1998, angereichert mit neuen Modellen und Nachbauten sowie mit respektablen Leihgaben, wiederholt. Zu dieser Ausstellung ist auch ein 40-minütiger Videofilm „Technik der Träume“ von Schülern als Abschlussarbeit erarbeitet und realisiert worden. Erst nach dieser Ausstellung entstand die Dokumentation „Faszination der Bühne“, deren Ziel es war, die bisherigen Ergebnisse der Arbeit zahlreicher Kurse auch nach dem Abbau der Ausstellung festzuhalten.

Das heißt, und das haben Sie ja auch bei Ihrer Eröffnungsrede betont, das Projekt war an der Schule breit verankert. Ein ganzes Gymnasium im Barocktheater-Rausch?

Man neigt natürlich dazu, die zurückliegende Zeit zu glorifizieren, aber etwas von dem von ihnen angesprochenen Rausch war tatsächlich zu spüren. Viele Kollegen arbeiteten begeistert an dem Projekt mit (zum Teil auch nach ihrer Pensionierung, so wie auch einige ehemalige Schüler heute noch mitwirken). Ohne eine entsprechende Teamarbeit ist ein Projekt in dieser Dimension überhaupt nicht denkbar und ich bin allen (Lehrern wie Schülern, den Schulleitungen, Eltern und Sponsoren) unendlich dankbar.

Aber die Zeiten haben sich gewandelt – und nicht zum Besseren. 16 Jahre Projekt „Faszination der Bühne“ sind auch 16 Jahre bayerische Schulpolitik. In den Anfangsjahren hatten wir die entsprechenden Freiräume im Unterricht, und die Leistungen der Schüler – auch die praktischen – gingen ins Abiturzeugnis mit ein. Seither haben sich die Bedingungen ständig verschlechtert. Vor allem klafft die Schere zwischen offiziellen Verlautbarungen (Forderungen nach schüler- und projektorientierten Unterrichtsmethoden) und den schulischen Rahmenbedingungen (Stundenbudgetierungen und Einführung des achtjährigen Gymnasiums) immer weiter auseinander. In den beiden letzten Jahren ließ sich das Projekt nur noch unter Aufbietung der letzten Reserven verwirklichen. Aber Eltern hatten bereits Angst, dass die Mitarbeit Ihrer Kinder bei dem Projekt zu schlechteren Noten in den Hauptfächern führen könnte.

Vom Schulprojekt zur EU-Wanderausstellung

Das erforderliche Engagement ging aber sicher auch „damals“ über den zeitlichen Rahmen des regulären Unterrichts hinaus. Wie konnten Sie die Schülerinnen und Schüler für das Projekt begeistern?

Zum einen war es die praktische Arbeit der Schüler beim Modellbau. Sie lernten den Umgang mit Holz: Leimen, Dübeln, sorgfältiges Arbeiten etc. Die Arbeit eines Gymnasiasten ist kopflastig, dankbar waren die Schüler für die Arbeit mit den Händen. Hier haben sie vieles für das Leben gelernt. Zum anderen war die Projektarbeit mit zahllosen Exkursionen verbunden: von Moskau bis Versailles, von Stockholm bis Cesky Krumlov, und das zu Zeiten, wo ihre Mitschüler im Unterricht saßen.

Wie ging es nach 1998 weiter und wer hat das Ganze finanziert?

Nach der Ausstellung 1998 ging die Ausstellung auf Wanderschaft. Zunächst wanderte sie innerhalb Deutschlands mit Abstechern in die Tschechische Republik (Eger) und Österreich (Haydnfestspiele in Eisenstadt), dann hat PERSPECTIV, der Verein der historischen Theater Europas, unsere Ausstellung gefördert, um auf ihre Europastraße der historischen Theater aufmerksam zu machen. So wurde mit EU-Mitteln unsere Ausstellung auch in Drottningholm (Stockholm), Kopenhagen, Sabbioneta und Bologna gezeigt. Für die Ausstellung in Bayreuth 2009 entstand die große Bühne im Maßstab 1:2, die die wesentlichen Maschinerien der barocken Bühnentechnik demonstriert. 2010 wurde für die Ausstellung in Berlin die Wolkenmaschinerie vollendet.

Für ein Schulprojekt ganz ungewöhnlich wurde unser Projekt mit mehreren hunderttausend Euro gefördert. Unser Projekt hat viele kleine und große Förderer gehabt. Entscheidend war aber das Sponsoring der dem Markgräflichen Opernhaus benachbarten Sparkasse. Sie hat unseren Aufstieg aus der „Kreisklasse in die Europaliga“ Stufe für Stufe begleitet und erst ermöglicht. Einen sehr hohen Betrag haben die Stadt Bayreuth und drei weitere Großsponsoren für die Ausstellung 2009 im Rahmen des Wilhelmine-Jubiläums zugeschossen. Die internationale Wanderausstellung wurde dann dank der Vermittlung von PERSPECTIV mit EU-Mitteln finanziert. Herauszuheben sind aber die vielen kleinen (aber auch großen) Unterstützungsbeiträge von Eltern oder Handwerkern (Schlosser, Schreiner, Zimmerleute), die für ihre Arbeit nichts verlangt haben, weil sie sich von unserer Begeisterung haben anstecken lassen.

Die Ausstellung wurde sukzessive erweitert. Sie haben sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und sich offensichtlich auch um Kontakte zu historischen Theatern sowie Verbänden bemüht. Wie haben Sie dieses Netzwerk aufgebaut?

Als wir 1993 mit den Recherchen begannen und die Theater in Europa besuchten, die sich die barocke Bühnentechnik bewahrt hatten, waren diese Theater gerade erst dabei, ihre Bestände zu ordnen und mit Restaurationen zu beginnen. Es gab noch keine Hochglanzbroschüren, die Theater hatten so gut wie keinen Kontakt untereinander. Einige waren international überhaupt noch nicht bekannt. So haben wir einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu geleistet, ein Netzwerk zu knüpfen. Als 1999 unser Buch „Faszination der Bühne“ erschien, hatten wir eine wissenschaftliche Lücke getroffen, was letztlich auch den Erfolg unseres Buches erklärt.

Konzept und Durchführung

Die Ausstellung, die jetzt in Berlin gezeigt wurde, ist deutlich umfangreicher als die damals in Bayreuth gezeigte und auch noch professioneller. Was beinhaltete sie, in Kürze?

Die Ausstellung setzt sich zum Ziel, die barocke Bühnentechnik wieder lebendig werden zu lassen. Sie will dem Besucher den Zauber barocker Bühnentechnik und die barocke Aufführungspraxis vermitteln. Die Ausstellung bleibt aber nicht bei der glänzenden Außenseite des barocken Theaterlebens stehen, sondern fragt nach den Hintergründen. Das Weltbild der Epoche und die transzendentale Bedeutung der Metapher von der „Welt als Bühne“ stehen ebenso im Mittelpunkt wie die sozialen Belastungen, die die Opern- und Schauspielbegeisterung der Fürstenhäuser den Untertanen auferlegte.

Was hat Sie an der barocken Bühnentechnik fasziniert?

Die heutige Bühnentechnik hat höchste Perfektion und Präzision zum Ziel. Das gilt auch für die mittlerweile zahlreichen Computeranimationen historischer Bühnentechnik.

Aber die größte Perfektion kann nicht den Zauber der alten Bühnentechnik vermitteln, wenn sich der Vorhang hebt und der Zuschauer durch den flirrenden Vorhang der sich erwärmenden Luft über den Kerzen der Rampenbeleuchtung auf die Bühne schaut und verzaubert wird von der Illusion der Wirklichkeit. Wenn die Pailletten, auf die Kostüme genäht, das Licht reflektieren, die seidenen Stoffe schimmern, die vergoldeten Rüstungen glitzern. Wenn die hölzerne Bühnenmaschinerie ruckelt, die Kulissen ächzen und knarzen, die Windmaschine heult, der Donner über den Köpfen der Zuschauer grollt und die Erbsen als Regen durch den Schacht prasseln. Wenn im Halbdunkel der Bühne der Maschinenzauber die Phantasie der Zuschauer beflügelt.

Perspektiven

Über die barocke Bühnentechnik haben Sie Anschluss an die DTHG, den Verein zur Gründung eines Theatermuseums, den Verein zu Förderung historischer Theatertechnik sowie andere Institutionen bekommen. Konnten Sie aus der Tätigkeit auch für sich persönlich Gewinn ziehen?

Der unbeschreibliche persönliche Gewinn war mit ausschlaggebend dafür, dass ich das Projekt über diese lange Zeit hinweg durchhalten konnte. Ich habe höchstinteressante Theaterleute aus ganz Europa kennen gelernt und ehrenvolle Einladungen zu Vorträgen und Symposien in namhafte europäische Städte erhalten. Die internationale Anerkennung war überwältigend. Von der schwedischen Königin bekam ich die Verdienstmedaille des Drottningholmer Schlosstheaters überreicht, unser Buch wurde ins Russische übersetzt und ich habe den Kulturpreis der Stadt Bayreuth verliehen bekommen. Aber jede Rose hat auch Dornen. Ein Projekt, das über 15 Jahre andauert, muss auch Enttäuschungen und bittere Erfahrungen mit sich bringen. Auch davon bin ich nicht verschont geblieben.

Wie geht es weiter mit der Ausstellung und dem Thema an Ihrer Schule? Die Ausstellung ist ja nach meinem Eindruck in sich geschlossen und entsprechend vielleicht auch abgeschlossen. In welcher Richtung geht es weiter mit dem Thema an Ihrer Schule?

Am Ende dieses Schuljahres, im August 2011, werde ich in den Ruhestand gehen. Da die Ausstellung ein schulisches Projekt ist, entfällt damit die personelle Grundlage für eine Weiterführung des Projektes. Außerdem ist die Handhabung der Logistik der Wanderausstellung immer anstrengender geworden. Leider musste ich feststellen, dass das Projekt für den normalen Schulbetrieb im achtjährigen Gymnasium zu groß geworden war. Ich habe einen Schneeball geworfen, und seitdem laufe ich vor der gewaltigen Lawine her, die dieser Schneeball ausgelöst hat. Dazu kann noch ein Bündel anderer Schwierigkeiten.

Ich bin froh, dass ich in dieser Situation eine glückliche Lösung gefunden habe. Mit der Ausstellung im Herbst 2010 in Berlin habe ich die Ausstellung dem Verein „Initiative TheaterMuseum Berlin e.V.“ übergeben. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, ein Theatermuseum in Berlin zu bauen und will u. a. mit unserer Ausstellung für sein Ziel werben. Letztlich soll unsere Ausstellung auch in das neue Museum integriert werden. Diese Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen, aber entscheidend für mich ist, dass die Ausstellung weiterentwickelt wird, aber unter unserem Logo und dem Corporate Design, das wir entwickelt haben, erhalten bleibt. Das Grundsätzliche wird bewahrt und verbessert. Bei diesem Prozess kann ich auch weiterhin beratend tätig sein.

Natürlich hätte ich einer Bayreuther Lösung den Vorzug gegeben. Sie hatte sich auch zunächst abgezeichnet. Die Bayerische Schlösserverwaltung hat neben dem Markgräflichen Opernhaus im Redoutenhaus zwei Stockwerke erworben, in denen ein Theatermuseum eingerichtet werden sollte. Uns war anvisiert worden, dass wir eines der beiden Stockwerke hätten nützen können. Ein Praxisseminar an unserer Schule hat dafür bereits auch Pläne gemacht. Finanzielle Engpässe bei der laufenden Sanierung des Opernhauses haben aber diese Lösung unwahrscheinlich gemacht. Vor vier bis fünf Jahren ist mit einem Ende der Sanierung nicht zu rechnen und der Museumsausbau ist zunächst gestrichen. Deshalb bin ich froh und glücklich über die Berliner Lösung und freue mich auf eine Weiterentwicklung des bisher von uns Geleisteten.

Klaus-Dieter Reus ist Studiendirektor am Gymnasium Christian-Ernestinum, Bayreuth
Fächer: Deutsch, Geschichte, Sozialkunde
Seit 1993 betreibt er die Forschungsarbeit mit Schülern/Studenten zur Bühnentechnik der Barockzeit

(erschienen in der Bühnentechnischen Rundschau, Zeitschrift für Veranstaltungstechnik, Ausstattung, Management, Heft 2, April/Mai 2011, S. 63-65)